Methodik
der Fallbearbeitung im Verwaltungsrecht
Inhaltsverzeichnis
Einführung/Wiederholung
Abgrenzung
von öffentlichen Recht und Privatrecht in der Fallbearbeitung
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Einführung/Wiederholung
Im
Modul 1 wurden die Grundzüge der Fallbearbeitung im Gutachtenstil
vorgestellt. Der Gutachtenstil bildet die Grundlage der Fallbearbeitung
in allen Rechtsgebieten. Unterschiede sind eher marginär, wie z. B. die
Verwendung des eher zutreffenden Begriffes der Ermächtigungsgrundlage
statt Anspruchsgrundlage.
Im folgenden Modul werden
nun weitergehende Differenzierungen vorgenommen.
Zur
Erinnerung - der Beispielfall:
Herr
Rechtlos baute in Brandenburg ein Familienhaus mit drei Vollgeschossen,
obwohl nur eine behördliche Genehmigung für zwei Vollgeschosse in dieser
Wohngegend genehmigt sind. Daraufhin erlässt die Behörde in einem
Bescheid eine Teilabrissverfügung an, d. h., Herr Rechtlos muss die
bauliche Anlage um ein Vollgeschoss reduzieren.
Die
Ermächtigungsgrundlage ergab sich aus dem § 74 Bbg BauO. Die
Hilfsnormen
waren die § 2 Bbg BauO (Definition von baulichen Anlagen), § 54 Bgb
BauO (Voraussetzung bauliche Genehmigung) und § 55 Bgb BauO (Ausnahmen
-
lagen nicht vor). Der Fall wurde für die Vorstellung des Gutachtenstils
ein wenig gekürzt dargestellt. Damit endet auch die Wiederholung -
Abgrenzung
von öffentlichen Recht und privaten Recht in der Fallbearbeitung
Es gibt vier wichtige Theorien für Rechtsgelehrte, die bei der
Abgrenzung in der Fallbearbeitung zu beachten sind:
1) Interessentheorie:
Danach liegt öffentliches Recht dann vor, wenn die Regelung einer
Rechtsnorm überwiegend dem öffentlichen Interesse dient.
In dem o. a. konstruierten Hilfsfall sieht die Begründung dann ungefähr
so aus:
Laut
§ 74 Bbg BauO darf die zuständige Aufsichtsbehörde einen Bescheid mit
einer Teilabrissverfügung erlassen. Sinn und Zweck der Maßnahme ist es,
ein einheitliches Erscheinungsbild in der Landschaft Brandenburgs
herzustellen. Laut Bebauungsplan (Der Bebauungsplan wurde von der
Gemeinde als Satzung erlassen und ist rechtsverbindlich (siehe
Normenpyramide)) sind nur zwei Vollgeschosse in der Kolonie zugelassen.
Somit dient die Teilabrissverfügung überwiegend öffentlichen Interesse.
2) Die Subordinationstheorie
Danach
liegt immer dann öffentliches Recht vor, wenn ein Träger der
öffentlichen Gewalt einseitig in einem Bescheid (Verwaltungsakt) recht
setzt und daraus ein Über-/Unter-Ordnungsverhältnis vorliegt.
Im
vorliegenden Fall erließ die zuständige Aufsichtsbehörde einen
Verwaltungsakt aus dem besonderen Teil des Verfahrensrechts ( §
74 Bbg BauO Teilabrissverfügung). Für Herr Rechtlos ist dieser Bescheid
zunächst bindend (auch wenn er in der Praxis erstmal einen Widerspruch
einlegen würde...). Es entsteht also ein sogenanntes
Über-/Unter-Ordnungsverhältnis. Somit liegt öffentliches Recht vor.
3) Die modifizierte Subjektstheorie:
Danach
liegt öffentliches Recht vor, wenn eine Rechtsnorm einem Träger
öffentlicher Gewalt zu einem Tun oder Unterlassen berechtigt oder
verpflichtet.
Der § 74 Bbg BauO ermächtigt die Aufsichtsbehörde
eine Teilabrissverfügung durchzuführen. Die Aufsichtsbehörde ist ein
Träger öffentlicher Gewalt. Somit liegt öffentliches Recht vor.
4) Die Zweistufentheorie:
Danach
können in Sachverhalten Rechtsnormen privatrechtlicher und öffentlicher
Natur nebeneinander vorkommen, wie z. B. in einem Bäderbetrieb, wo der
Eintritt dem Privatrecht und die internen Angelegenheiten dem
öffentlichen Recht zuzuordnen sind.
Dieses ist eine grobe Unterteilung und soll an dieser Stelle erstmal
reichen...
Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
oder Verhältnismäßigkeitsprinzip leitet sich direkt aus dem
Grundgesetz ab - hat also Verfassungsrang und ist somit in der
Normenpyramide ganz oben angesiedelt.
Demnach muss eine Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen sein.
Geeignet:
Geeignet
wäre demnach in unserem Beispiel jede Maßnahme, die den rechtmäßigen
Zustand - also die erlaubten zwei Vollgeschosse zum Ziel hat. Im
Prinzip könnten Sie hier ihrer Fantasie freien lauf lassen und das
ganze Haus z. B. sprengen lassen. Frei nach dem Motto: der Zweck
heiligt die Mittel.
Da die Prüfung jeder noch so absurden Idee
den Zeitrahmen einer Prüfung im wahrsten Sinne des Wortes "sprengen"
würde, empfiehlt es sich jedoch, die Zahl der zu prüfenden Maßnahmen
auf die realistischen einzuschränken: In unserem Beispielfall werden
zwei Alternativen genannt:
Nach § 74 Bbg BauO kann die
Bauaufsichtsbehörde die teilweise
oder vollständige
Beseitigung einer
baulichen Anlage (dem Haus) anordnen.
Erforderlichkeit:
An
dieser Stelle wird geprüft, ob es nicht mildere Maßnahmen gibt, die
sich aus Rechtsnormen ergeben. Im Beispielfall kann die Behörde eine
teilweise oder vollständige Beseitigung einer baulichen Anlage
beschließen. Der Rückbau dürfte in diesem Fall die mildere Maßnahme
sein, um das Ziel - einheitliches Baubild und Rechtskonformität mit dem
Bebauungsplan - wiederherzustellen.
GDV im engeren Sinne/
Angemessenheit
An
dieser Stelle werden die Grundrechte des Bürgers auf der einen Seite
und die repressive Maßnahme aus der Rechtsnorm noch einmal auf die
Waagschale gelegt. Während die Erforderlichkeit nach dem mildesten
Mittel sucht, wird hier die Angemessenheit überprüft. Im Beispielfall
steht hier der Bebauungsplan versus einem unbestreitbaren Eingriff in
die Eigentumsrechte. Die Teilabrissverfügung ist mit Kosten verbunden.
Auf der anderen Seite hätte Herr Rechtlos sich im vornherein über die
Bauvorschriften informieren müssen. Würden alle Bürger "wild"
ihre Häuser nach eigenen Vorstellungen bauen, so wäre eine langfristige
Planung nach dem Flächennutzungsplan oder Bebauungsplan nicht
möglich...In so weit ist auch das Ermessen der Behörde des
Sachbearbeiters reduziert, obwohl es sich um eine "kann"-Vorschrift
handelt. Auch der Gerichtsweg ziemlich aussichtslos...Die Maßnahme ist
somit angemessen.
Baurecht
ist ein beliebtes Thema und es ist nicht Sinn dieses Rechtskanals, in
diese Materie einzusteigen. Für interessierte Menschen gibt es von Recht24
eine einfach erklärte Beschreibung von Grundbegriffen (Baugenehmigung
Teil I und II). Sehr empfehlenswert und mit einfachen Worten
verständlich erklärt.
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Als
nächstes Modul des Rechtskanals wird dann die Entstehung von den
wichtigsten Gesetzen (Gesetzgebungsverfahren: formelle und materielle
Gesetze und Bundeshaushalt) abgehandelt.